Rheuma: Die Geschichte von Phil

„Nach Knieschmerzen und irrtümlicher Diagnose eines Kreuzband- und Meniskusrisses stellte sich heraus, dass nur der Knorpel betroffen war. Eine folgende Knieentzündung führte zu starken Schmerzen, Schwellungen und zwei Operationen, bevor Rheuma diagnostiziert wurde.“

 

Wann fing das Rheuma bei dir an und welche ersten Symptome hattest du bis zur
Diagnosestellung?

Ich kann nicht genau sagen, wann es mit den rheumatypischen Symptomen bei mir anfing – es gab nicht diesen einen Tag, ab dem ich Probleme hatte. Aber ich weiß noch genau, dass ich nach einem Fußballspiel Knieschmerzen hatte, vor allem beim Gehen und Beugen meines rechten Gelenks. Der Arzt diagnostizierte einen Kreuzband- und Meniskusriss. Ich wurde operiert, doch es stellte sich heraus, dass ich nichts hatte, außer einen erweichten Knorpel. Ab diesem Zeitpunkt hatte ich stärkere Knieschmerzen als je zuvor. Ein MRT hat dann gezeigt, dass mein gesamter Knieinnenraum entzündet war. Es folgten sechs Monate mit Schmerzen und starken Schwellungen (Umfangsdifferenz von fünf Zentimetern), Bewegungseinschränkungen und zwei Knieoperationen, ehe ich von den Spezialisten in Garmisch-Partenkirchen den Befund bekam und sie mich medikamentös einstellten. In dieser Zeit ist mir klar geworden, wie vielfältig Rheuma ist und dass selbst erfahrene Ärzte es nicht unbedingt auf den ersten Blick diagnostizieren können.

Du bist nicht nur ein bewegungsfreudiger Mensch, sondern auch ein wahrer Poet. Auf deinem noch jungen Instagram Account rheuma_phil kann man sich diesbezüglich überzeugen. Wer oder was inspiriert dich?

Danke für Eure Worte! Es gibt nicht die eine Person, die mich inspiriert, sondern viele unterschiedliche. Wenn ich mal eine freie Minute habe, lese ich auf Instagram gerne Zitate von berühmten Persönlichkeiten. Am meisten motivieren mich dort Äußerungen vom Apple-Gründer Steve Jobs, so wie dieses hier: „If you want to make everyone happy, don’t be a leader – sell ice cream.“ Auch Musik ist wichtig für mich. Songs von Xavier Naidoo, Eminem und Samy Deluxe haben mich durch viele Krankenhausaufenthalte begleitet. Ich konnte so viel Kraft aus den Liedern dieser Interpreten gewinnen – vor allem „Superheld“; „Dieser Weg“; „Was wir alleine nicht schaffen“, „Till I Collapse“ und „Goldene Kerzen“ haben es mir angetan und mich gepusht! 

Bis zu meiner Diagnose habe ich leidenschaftlich gerne Fußball gespielt und war auch danach als Trainer tätig. DIE Fußball-Persönlichkeit, die mich inspiriert, ist Bastian Schweinsteiger, der sich im WM-Finale 2014 nicht unterkriegen lassen hat. Letztlich konnte er den WM-Pokal in den Nachthimmel von Rio stemmen – zwar mit dem ein oder anderen Cut unter dem Auge, aber sein unfassbarer Kampfgeist während des Finales motiviert mich, niemals aufzugeben, auch wenn die Ärzte mir sagen, dass etwas unmöglich wäre! 

Wie gehen Mitschüler, Kollegen und Mitmenschen damit um, dass du Rheuma hast?

Da habe ich ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Zu Beginn kam ich immer und überall in Erklärungsnot, dass ich schon mit 15 Jahren diese „Alte-Leute-Krankheit“ habe. Es dauerte lange, bis die Leute verstanden, dass auch kleine Kinder an einer Erkrankung aus dem rheumatischen Formenkreis leiden können! 

In der Schule ging zuerst alles gut, allerdings musste ich wegen eines Tuberkulose-Leidens länger in Quarantäne und habe deshalb die 10. Klasse wiederholt. Mein neuer Lehrer hatte anfangs kein Verständnis für meine Situation. Erst nach einem aufklärenden Gespräch mit meinem Vater und genügend Info-Material über juvenile idiopathische Arthritis (JIA), konnte er meine Situation besser nachvollziehen. Mit meinen Mitschülern allerdings hatte ich kaum Probleme. Natürlich fragten sich einige, warum ich so oft fehlen würde, aber ich erklärte ihnen, was bei mir „anders“ ist und sie verstanden sehr schnell. 

Und dein engeres Umfeld, Freunde und Familie?

Meine Familie hat, genau so wie ich, Zeit benötigt, ehe sie damit klar kam, dass ich nun Rheuma habe. Doch meine Eltern und alle anderen Familienangehörige haben immer zu mir gehalten und mich unterstützt, so gut es ging. Sie wollten bestmöglich verstehen, was die Krankheit mit mir und meinem Körper macht und hatten auch immer ein offenes Ohr für mich. Den Großteil meiner außerschulischen Freunde kenne ich durch den Fußball. Um den Kontakt weiter zu halten, besuche ich meine Mannschaft noch heute bei Spielen. Früher sagten die Mitspieler immer wieder, wie schön es wäre, wenn wir wieder zusammen auf dem Platz stünden. Irgendwann haben sie aber verstanden, dass das Rheuma bei mir so stark ausgeprägt ist, dass das vermutlich Wunschdenken bleibt. 

Um dem Fußball aber weiterhin erhalten zu bleiben, wurde ich Jugendtrainer in meinem Verein und bekam von jedem, wirklich jedem! Zuspruch. Die Spieler, die ich trainiere, und deren Eltern sind interessiert an meiner Geschichte und das, obwohl die Spieler gerade einmal 7-8 Jahre alt sind! Das ist echt rührend. 

Wie hat sich dein Leben und das deiner Familie nach der Diagnose Rheuma verändert?

Meine Eltern hat es natürlich am stärksten aus meiner Familie getroffen. Sie mussten sich vermehrt um mich kümmern, da ich bei akuten Schubphasen auf ihre Hilfe angewiesen war und es immer noch bin. Bevor ich 18 wurde, musste mein Vater mich unzählige Male zu meinem Rheumatologen oder zur Krankengymnastik fahren, weil ich keinen Führerschein hatte. Das kann ich heute zum Glück alleine. Auch unsere Familienurlaubsplanung gestaltet sich seit meiner Diagnose um einiges kompakter. Es muss sichergestellt sein, dass ich vor Ort meine gekühlten Medikamente erhalte und diese dann auch gekühlt am Urlaubsort lagern können. Außerdem brauche ich auch im Urlaub regelmäßig Krankengymnastik, sodass dieser Punkt im Voraus abgeklärt werden muss. Mittlerweile nehme ich glücklicherweise die Handynummer meines Physiotherapeuten mit in den Urlaub, sodass Absprachen „auf kurzem Wege“ gut klappen. 

Meine Fußballschuhe an den Nagel hängen zu müssen, war besonders schlimm für mich. Ich musste schweren Herzens lernen, dass das Kapitel Fußball der Vergangenheit angehört. Auch nicht leicht war es zu erkennen, dass ich die Ferien nicht mehr gemeinsam mit meinen Freunden verbringen konnte, weil ich während der Ferien meist in klinischer Behandlung in Garmisch war.

Ansonsten bin ich im Alltag heute einfach deutlich disziplinierter, damit ich mein schulisches Ziel – das Abitur – auch erreiche.

Hat Rheuma auch etwas Positives in dein Leben gebracht?

Ja, definitiv! Durch meine regelmäßigen Aufenthalte im deutschen Zentrum für Kinder- und Jugendrheumatologie in Garmisch-Partenkirchen habe ich viele Patienten kennenlernen dürfen, die zu Freunden wurden. Freunde, die ich heute nicht mehr missen möchte. In der Klinik habe ich auch meine endgültige Diagnose bekommen und hatte das Glück, dass ich mich sofort mit Gleichgesinnten austauschen konnte. Dabei habe ich schnell viel über die Krankheit erfahren, was mir half, für mich selbst einen Weg zu finden, mit der Krankheit umzugehen. Dennoch war es zu Beginn alles andere als leicht, damit klar zukommen.

Durch JIA habe ich gelernt, dass eine schlechte Diagnose nicht zwangsläufig das Ende der Welt bedeuten muss und man mit genug Willen (fast) alles schaffen kann, was man möchte. 

Ich bin mein bestes Beispiel: 2016 hatte ich ein Streckdefizit von über 60 Grad in meinem rechten Knie. Ärzte und Therapeuten sagten, dass ich diesen Streckdefizit nur operativ in den Griff bekommen würde und selbst dann die Chancen auf eine vollkommende Streckung eher mau seien. Trotzdem entschied ich mich mehrfach gegen diese Operation und für Physiotherapie. Ich vertraute darauf, dass sich die Physiotherapeuten die Hände an mir Wund therapieren, wie es einer meiner Ärzte so schön sagte. Diesem Vertrauen in die Physiotherapeuten und meinem täglichen gezielten Muskulatur-Training verdanke ich, dass ich mittlerweile bei einem lächerlichen Defizit von 5-10 Grad bin.

Vertrauen zu haben, ist wichtig. Auch sich selbst zu vertrauen. Heute horche ich mehr in mich rein und mache, was mein Körper mir sagt. Wie z.B. 2017, als ich mit meiner Familie in den Skiurlaub fahren wollte und keiner meiner Ärzte vollends hinter mir und meinem Plan, Ski zu fahren, stand. Aber ich wusste, ich brauche dieses Gefühl von Freiheit, das mir das Ski fahren gibt. Trotz des Risikos hörte ich auf meinen Körper. Und siehe da, nach meinem Skiurlaub befand sich mein Knie im besten Zustand, seit meiner Erkrankung. Durchs Ski fahren konnte ich mein Streckdefizit weiter verringern und eine verbesserte Oberschenkelmuskulatur aufweisen.

Wie geht es dir aktuell?

Ich finde diese Frage ist schwer zu beantworten, da mein allgemeines Wohlbefinden von Tag zu Tag variiert.

Wie läuft ein typischer Tag eines jugendlichen Rheumatikers wie dir ab?

Wie bei der Frage vorher schon angedeutet, muss ich sagen, dass es bei mir als Rheumatiker keinen typischen Alltag gibt. Wie mein Tag abläuft, hängt ganz stark davon ab, wie es mir am Morgen eines jenen Tages geht – und das ist nun mal von Tag zu Tag anders! 

Aber grundsätzlich versuche ich eine Routine einzuhalten. Jeden Morgen stehe ich zur selben Zeit auf, höre dann fünf bis zehn Minuten Musik und beantworte die Nachrichten auf den sozialen Medien. Nach dem Frühstück nehme ich meine Medikamente und kühle für 5 – 10 Minuten meine überwärmten Gelenke. Musik begleitet mich dabei ständig. Danach bin ich entweder bis 13 oder 15:15 Uhr in der Schule. Wenn ich nach Hause komme, setze ich mich erneut hin, um meine entzündeten Gelenke zu kühlen. Diese Minuten nutze ich, um mich von der Schule zu erholen und mir bewusst zu werden, was am Nachmittag ansteht. Zweimal die Woche ist das ein Termin beim Physiotherapeuten, ansonsten mache ich meine Hausaufgaben und beschäftige mich mit dem Schreiben von meinem Buch! Abends versuche ich 30 Minuten mit dem Fahrrad zu fahren, was mir und meinen Gelenken guttut. Je nach Tagesform gelingt mir das mal besser, mal weniger gut. Danach kühle ich wieder meine Gelenke, esse und schreibe weiter an meinem Buch oder lese. Bevor ich schlafen gehe, wärme ich noch meine Rückenmuskulatur, weil sie durch die leichte Fehlstellung schnell verspannt. Ein bisschen lesen oder lernen beendet dann meinen Tag.

Hast du einen Alltagstipp für Betroffene parat?

Jeder chronisch Kranke muss seinen eigenen Weg finden, mit seiner Krankheit umzugehen. Ich für mich habe gemerkt, dass mir eine Routine im Alltag in meinem allgemeinen Wohlbefinden hilft. Daher habe ich die gerade beschriebene Morgen- und Abendroutine entwickelt, die ich versuche, Tag für Tag durchzuziehen. Auch ein regelmäßiger Schlafrhythmus hilft mir, „gut durchs Leben zu kommen“. Mein ultimativer Tipp: Ihr solltet Euch jeden Tag ein paar Minuten für Euch selbst nehmen, in dem ihr Euch und Eurem Körper etwas Gutes tut.

Schlusswort:
An Nicht-Rheumatiker: Hört auf mit Euren Vorurteilen gegenüber Rheumatiker. Nehmt Euch die Zeit, den Menschen kennenzulernen, ehe ihr über ihn und seine Krankheit urteilt, den auch Kinder und/oder Jugendliche kann es treffen. 

An Rheumatiker: Lass Euch nicht unterkriegen! Geht offen mit Eurer Erkrankung um! 

Ich habe meine Erkrankung zu keiner Zeit verschwiegen und mich immer bemüht, dass meine Freunde und Mitmenschen verstehen, dass man bereits im Kindes- und Jugendalter an Rheuma erkranken kann. Meiner Meinung nach, ist es furchtbarwichtig, dass die Gesellschaft Verständnis für die Erkrankung entwickeln kann und dazu kommt es nur, wenn jeder einzelne von uns seine Leute aufklärt.


Fazit, Rat an Betroffene, Motto etc.

Wenn ich eines durch meine rheumatische Erkrankung gelernt habe, dann, dass ich auf mich und meinen Körper hören sollte. Es zählt nicht, was die anderen sagen, sondern nur das, was du dir selbst sagst. Willst du etwas machen und bist der festen Überzeugung, dass du das kannst, dann mach es einfach! Egal, was die anderen dazu sagen oder davon halten. 

Hört auf Euer Herz und auf Euer Bauchgefühl, denn manchmal ist das, was Euch wirklich weiterbringt das, vor dem Euch alle warnen. In dem Sinne „Just Do It!“

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